NABU-Thema im Juli: Das Reh

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Zahlreich, erfolgreich

Ob auf Feldern, im Wald oder am Straßenrand: Kein wildes Säugetier sehen wir hierzulande häufiger als das Reh; gerade jetzt im Hochsommer, seiner Paarungszeit. Und tatsächlich leben etwa 2,5 Millionen Rehe in Deutschland – Tendenz steigend. Damit kommen bei uns rechnerisch zwei Rehe auf jedes Wildschwein und sogar zehn Rehe auf jeden Rothirsch. Das scheue Reh ist nämlich ein erfolgreicher Kulturfolger und profitiert von unseren modernen Äckern und Fettwiesen. Noch vor 150 Jahren war es dagegen in Mitteleuropa relativ selten.

Merkmale

Das Reh (Capreolus capreolus) ist die in Europa häufigste und kleinste Hirschart. Als sogenannter „Trughirsch“ ist es näher mit dem Elch verwandt als mit Rot- oder Damhirsch. Es wird in freier Wildbahn bis zu 12 Jahre alt und wiegt ausgewachsen gut 25 kg. Mit seinem langen Hals, dem schlanken Körper, den langen Beinen und dem glatten, dichten Fell ist es ein typisches Fluchttier, das seinen Jägern – Wolf, Luchs, Fuchs, Wildschwein – durch schnelle Sprünge in die dichte Vegetation entkommt. Dabei helfen ihm seine stete Aufmerksamkeit und die scharfen Sinne: Einen Menschen kann ein Reh auf bis zu 300 Meter wittern. Das Sommerfell der Rehe ist meist rotbraun, aber Schattierungen von fahlgelb bis nahe schwarz sind möglich. Der „Spiegel“ rund um den After ist gelblich-weiß. Das Winterfell ist gräulich und seine Haare sind hohl, was der besseren Isolierung dient. Kitze sind durch ihr braun-weiß geflecktes Fell und ihre Geruchlosigkeit bestens getarnt. Böcke tragen ein Gehörn, das im Spätherbst abfällt und danach binnen 60 Tagen unter einer schützenden Basthaut nachwächst. Ist es ausgewachsen, stirbt die Haut ab. Der resultierende Juckreiz veranlasst Böcke, ihr Geweih an Büschen und Bäumen zu „fegen“ und dabei zugleich ihre Duftstoffe als Reviermarkierungen zu verteilen. In diesen Revieren machen während der „Blattzeit“ die Böcke durch rauhes Bellen und die Ricken durch Fiepen auf sich aufmerksam. Nach der Paarung bleibt das befruchtete Ei der Ricke während der Keimruhe vier Monate lang unentwickelt und reift danach fünf Monate. Dadurch werden die Rehkitze im Frühling bei bestem Nahrungsangebot geboren.

Lebensraum und Nahrung

Das an das Waldesdickicht angepasste Reh hat sich als ungemein flexibel erwiesen: Mittlerweile nutzt es alle Vegetationsformen von Waldgebieten über Heckenlandschaften und offene Feldfluren bis zu Parks und Gärten. Ideal ist ein hoher Waldrandanteil. Einige Wildbiologen glauben, dass Nitrateinträge aus der Landwirtschaft das Rehwild begünstigen, da sie das Wachstum der bei den Rehen beliebten stickstoff- und kalorienhaltigen Pflanzen fördern. Das herbivore Reh ist nämlich ein „Konzentrat-Äser“, dessen Nahrung arm an Pflanzenfasern und Zellulose ist, aber reich an leicht verdaulichen Nährstoffen wie Zucker, Stärke und Proteinen. Es selektiert optimal geeignete Blätter, Knospen, Kräuter, Triebe und Gräser und hat im Getreide- und Ölfruchtanbau des Menschen ein ideales Nahrungsangebot gefunden. Daher können Rehe beträchtliche Wildschäden in den Kulturen anrichten.

Verbissschäden im Wald

Größer sind jedoch die Schäden, die Rehe durch Verbiss und Fegen gerade an den empfindlichen Jungpflanzen des Waldes verursachen. Gründe dafür sind neben einer hohen Bestandsdichte ein unzureichendes Nahrungsangebot sowie Jagd- und Freizeitdruck im Offenland. Da eine Rehdichte von einem Tier auf 10 Hektar für naturnahe Ökosysteme als Obergrenze gilt, bleibt die jagdliche Bestandsregulierung des Rehwilds unverzichtbar. Moderne Jagdkonzepte umfassen u.a. eine genaue Bestandserfassung sowie kurze Jagdphasen mit revierübergreifenden Drück- und Riegeljagden außerhalb definierter Wildruhezonen. Zudem sollte auf Wildfütterung verzichtet werden. Einen wirksameren Waldschutz bietet ein attraktives natürliches Nahrungsangebot in artenreichen Mischwäldern.

Nehmen Sie Rücksicht!

Gefährlich wird der Mensch dem Reh meist als Fahrer eines Autos oder einer Erntemaschine. Hier existieren technische Schutzkonzepte, z.B. Duftzäune und Drohnenaufklärung. Doch auch Spaziergänger und Hundehalter können einen Beitrag leisten, um Rehe zu schonen und sie nicht zum Rückzug in den Wald zu zwingen: Bleiben Sie auf ausgewiesenen Wegen, leinen Sie Ihren Hund an und streifen Sie nicht im Sommer durch Wiesen, in denen Rehkitze ihre Liegeplätze haben könnten. Und sollten Sie doch einmal auf ein Kitz stoßen: Fassen Sie es keinesfalls an! Seine Mutter würde es verlassen, sobald das Jungtier Menschengeruch an sich trägt.